Autor: Jürg Bachmann: zVg (publiziert in «Persönlich», Sonderausgabe Juni/Juli 2023)
Die Frage, ob es Werbung braucht und wie eine Welt ohne Werbung aussähe, ist uralt. Vor sechzig Jahren, im Jahr 1963, widmete der berühmte Werber David Ogilvy in seinem Buch «Geständnisse eines Werbemannes» das Schlusskapitel der Frage, ob es nicht besser wäre für die Menschheit, die Werbung einfach abzuschaffen. Sie verführe doch zu Ausgaben, die sich Konsumentinnen und Konsumenten gar nicht leisten könnten; überhaupt werde in der Werbung übertrieben, wenn nicht gar brandschwarz gelogen; Werbung bevorteile sowieso jene Unternehmen, die sich dank einer starken Marktposition und einem Haufen Geld viel davon leisten könnten und drücke die kleineren Anbieter aus dem Markt; erst recht fürchten Journalistinnen und Journalisten jede Nähe zu Werbung wie der Teufel das Weihwasser (auch wenn die Medien, für die sie arbeiten, und damit sie selber zu einem grossen Teil von Werbeeinnahmen leben). Wäre die Gesellschaft nicht glücklicher ohne das Grundübel Werbung, das zu Taten animiert, die man lieber bleiben lassen sollte?
Als Fürsprecher für die Werbung zitierte Ogilvy zwei Persönlichkeiten, die nicht aus der Werbewelt kommen, also unverdächtig sind: den ehemaligen amerikanischen Präsidenten Franklin D. Roosevelt und Winston Churchill, der für jede Lebenslage ein Zitat parat hat.
Der erste sagte sinngemäss: würde ich mein Berufsleben noch einmal neu anfangen, würde ich wohl Werber. Denn ohne Werbung wäre es in den letzten 50 Jahren unmöglich gewesen, den Lebensstandard so zu erhöhen, wie das erfolgt ist. Und der zweite sah in der Werbung vor allem die Kraft, Wünsche zu formulieren und Ansporn für die Erreichung von Zielen zu setzen. Das nütze der Produktivität einer Gesellschaft und darum dem Gemeinwohl. Auf einen Punkt gebracht sagten beide: Werbung stärkt die Volkswirtschaft und das Gemeinwohl.
Lieber Erziehungsprogramme statt Werbung?
Irgendwann muss einem Teil der Gesellschaft dieses Verständnis abhandengekommen sein. Werbung soll stören und lästig sein, gar verantwortlich für Fehlentwicklungen der Gesellschaft. Liest man Vorstösse, die im eidgenössischen Parlament während jeder Session eingereicht werden, scheint es, als störten sich insbesondere linke und grüne Politikerinnen und Politiker daran, dass Werbung auch Inhalte kommuniziert, die im Widerspruch stehen zu ihrem eigenen Weltbild. Werbung für bestimmte Produkte und Dienstleistungen, die sie anhand eines eigenen Wertekanons als schädlich für die Gesellschaft einstufen, soll eingeschränkt oder verboten werden. Werberegulierung wird zum gesellschaftserziehenden Programm. Weg vom Ideal einer aufgeklärten, offenen und selbstverantwortlichen Gesellschaft. Der Staat weiss, was für die Bürgerinnen und Bürger gut ist. Nur das darf kommuniziert werden, der Rest ist zu verbieten.
Also bald eine Welt ohne Werbung?
In unserem Verständnis, und im Gegensatz zum oben dargelegten, gehört Werbung zur Meinungsäusserungsfreiheit, die von der Verfassung garantiert ist. Zwar wird der Begriff der Werbefreiheit in der Bundesverfassung nicht ausdrücklich genannt. Aber nach herrschender Lehre und Rechtsprechung ist die Werbefreiheit Teil der in der Verfassung garantierten Wirtschaftsfreiheit (Art. 27 Bundesverfassung). Auch das Bundesgericht hat schon klar festgehalten, dass die Freiheit der kommerziellen Werbung über die Wirtschaftsfreiheit gewährleistet wird und darüber hinaus auch noch die Meinungsäusserungsfreiheit angerufen werden kann. Der Gesetzgeber sieht also keine Welt ohne Werbung vor.
Werbung ist Information und diese muss garantiert werden
Aus staats- und demokratiepolitischen Gründen sind Werbeverbote darum nicht einfach ein gesetzgeberisches Gestaltungselement, von dem der Gesetzgeber einfach so Gebrauch machen darf. Für ein Werbeverbot müssen schwerwiegende Gründe vorliegen und diese sind stichhaltig zu beweisen, bevor ein Werbeverbot ausgesprochen wird.
Nicht genau überprüfbare Studienergebnisse, die die Schädlichkeit von Stoffen beweisen sollen, reichen nicht für ein Werbeverbot. Das gilt für Tabakwerbung, wie für Werbung für Lebensmittel-, Mobilitäts- oder andere Werbung. In unserem Gesellschafts- und Rechtssystem gehen wir in der Schweiz davon aus, dass Bürgerinnen und Bürger nicht nur in der Lage sind, sich regelmässig mehrmals pro Jahr vor Wahlen und Abstimmungen eine Meinung zu bilden, sondern auch im Einkaufsgeschäft oder beim Online-Einkauf über diese Fähigkeit verfügen. Ihnen die Möglichkeit zu nehmen, sich über Werbung zu informieren und sich selber ein Blick über Nutzen und allenfalls Schaden zu bilden, halten wir für einen schwerwiegenden Eingriff in die persönliche Freiheit der Konsumentinnen und Konsumenten. Grundsätzlich soll beworben werden dürfen, was legal hergestellt und gehandelt werden kann.
Hilft Selbstregulierung?
Um Erwartungen von Politik und Verwaltung vorauseilend zu erfüllen, wurde in den letzten Jahren oft auf Selbstregulierung gesetzt. Das waren oft verpflichtende Kompromisse, auf die sich die Marktpartner einigten. Viele solche Selbstdeklarationen funktionieren gut. Bloss: nun scheint das der Politik zuweilen nicht zu reichen. Viele Anstrengungen der produzierenden Industrie, gerade im Bereich der Lebensmittel oder des Tabaks, wurden nicht oder wenig honoriert. Darum will ein Teil der Politik zum einfachsten Mittel greifen, zur Werberegulierung, sprich zu Werbeeinschränkungen und -verboten.
Dieser Trend ist zu stoppen. Für die Meinungsbildung der Bürgerinnen und Bürger, der Konsumentinnen und Konsumenten ist Werbung ein zu wichtiges Gut. Sie trägt zur Transparenz und Konkurrenz bei. Eine funktionierende Volkswirtschaft braucht Werbung. Und Politikerinnen und Politiker, die dazu Sorge tragen.
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