Autorin: Vera Baldo-Tschan, Bilder: z.V.g.
Welche Folgen hat das Ausbleiben eines Entscheides der Nutzerinnen und Nutzer oder die Verweigerung der Werbecookies für die Werbebranche?
Martin Radelfinger: Ich möchte gleich zu Beginn präzisieren, dass es nicht in erster Linie um die Zustimmungsverweigerung für das Setzen von Werbecookies geht. Es geht um den Wegfall von Third Party Cookies und um die Weitergabe von anonymisierten Identifikationsmerkmalen (IDs) mit denen Nutzer oder Konsumenten ohne konsequente Transparenz und explizite Zustimmung nachverfolgt werden. Dann würde ich bei der Bedeutung oder Funktion von Cookies zwischen branding- und performance-orientieren Kampagnen differenzieren. Während sich bei Kampagnen mit dem Ziel der Markenkommunikation alternative Planungs- und Steuerungsansätze anbieten, wird die effektive und effiziente Aussteuerung von Werbung für Performance-Kampagnen schwieriger.
Rene Plug: Die Werbeauftraggeber und Agenturen kaufen vermehrt auf Basis von Werbewirkung ein. Dies ist ein sehr gutes Instrument für diese performance-basierte Werbung. Wenn es die Third Party Cookies oder die Mobile Advertising IDs nicht mehr gibt (bzw. wenn diese verweigert werden, oder wenn der Nutzer keine Zustimmung gibt), dann funktioniert diese performance-basierte Werbung schlechter. Der Werbeauftraggeber wird dann tendenziell auf Kanäle ausweichen, auf denen die Voraussetzungen für performance-basierte Werbung nach wie vor gegeben sind, nämlich innerhalb der Walled-Gardens-Plattformen wie Google, Facebook oder Amazon. Das heisst, bei zunehmender Verweigerung werden Werbeauftraggeber vermehrt in diese Walled Gardens investieren und tendenziell weniger im Open Web.
Martin Radelfinger: Diese Entwicklung erschwert die Refinanzierung von Inhalten im Open Web generell und natürlich speziell von kostenintensiven, publizistischen Inhalten respektive Reichweiten zusätzlich.
Wie viel Prozent der Schweizerinnen und Schweizer geben noch aktiv ihre Zustimmung für Werbecookies und wohin deutet der Trend hin?
Rene Plug: Uns fehlen genaue Zahlen. Nicht überall gibt es eine Cookie-Schranke, und wenn es eine gibt, dann wird sie häufig über eine Bestätigung weggeklickt. Die aktive Nutzerzustimmung ist wohl relativ hoch. Der Trend ist durch die Regulierung wahrscheinlich sinkend, aber nicht alarmierend. Das viel grössere Problem ist das Blocken von Third Party Cookies durch den Browser, Einschränkungen von Webbrowser usw. Hier werden wir in den kommenden Jahren massive Einbrüche sehen. Das gleiche gilt für Mobile.
Was kann die Werbebranche tun, um diesem Trend entgegenzuwirken und das Vertrauen bei den Nutzerinnen und Nutzern zu stärken?
Rene Plug: Die Antwort ist oft simpel: Nutzer stören sich an Werbung, wenn sie invasiv oder aggressiv ist. Wenn sie den Nutzer zum Zuschauen zwingt, wenn es Privatsphäre verletzend wirkt oder wenn Publisher einfach zu viel Werbung schalten. Dann suchen Nutzer nach Lösungen, um dieser Überbeanspruchung entgegenzuwirken. Dies tun sie mittels Cookie-Verweigerung, Blocker, Safari-Browser-Einschränkungen, usw. Das heisst: Werber müssen in der Planung und Exekution von digitaler Werbung selektiver werden, nicht über schlechte Performance-Netzwerke massenweise einkaufen und kreative, relevante Werbung zeigen, ohne die Notwendigkeit dauerhaft laut zu sein. Der intelligente Einsatz von Targeting-Technologien erlaubt es nur die relevanten Zielgruppen anzusprechen und die richtige und relevante Botschaft zum richtigen Zeitpunkt dem richtigen Nutzer zu zeigen.
Martin Radelfinger: Aufmerksamkeit ist ein limitiertes und die Privatsphäre ein wertvolles und schützenswertes Gut. Das Einverständnis der User respektive Konsumenten von kommerziellen Botschaften ihre Aufmerksamkeit zu schenken und mit der Zustimmung sich für Werbezwecke identifizieren zu lassen, sei das durch eine Registration oder auch anonymisiert, basiert auf einem sogenannten Value-Exchange-Modell. Der User bezahlt mit seiner Aufmerksamkeit für den kostenlosen oder durch Werbung finanzierten Konsum von Inhalten oder Dienstleistungen. Dieser Werteaustausch muss delikat austariert sein. Dieses Kosten-Nutzen-Verhältnis ist durch den flächendeckenden Einsatz von Third Party Cookies und dem flächendeckenden, intransparenten Tracking der Konsumenten aus dem Gleichgewicht geraten. Mit regulatorischen Massnahmen wie der europäischen General Data Protection Regulation (GDPR) und Instrumenten wie dem Transparency & Consent Framework (TCF) versucht die Politik und die digitale Werbewirtschaft die notwendige Ausgewogenheit wieder besser zu gewährleisten. Der von der Europäischen Union schon fast verabschiedende Digital Services Act geht noch einen Schritt weiter und wird das Ökosystem für die digitale Werbung nochmals signifikant beeinflussen. Diese Gesetzgebung adressiert primär die Dominanz der grossen internationalen Plattformen.
Auch Apple geht mit diesem Trend mit, indem sie systematisch die Nutzerinnen und Nutzer nach der Zustimmung fragen. Welche Herausforderungen bringen die GDPR-konformen Updates der Smartphones mit sich?
Rene Plug: Wie gesagt, diese Updates haben einen viel grösseren Effekt als die Cookie-Verweigerung der einzelnen Nutzer, denn heutzutage ist Mobile überall. Der Impact von diesen Updates ist wesentlich gravierender als die Cookie-Verweigerung und vergleichbar mit den Updates in Chrome, Safari und Firefox. Der sofortige Impact: Apple hat die Werbe-funktionalität beeinträchtigt und sofort ist viel Werbegeld von Apple zu Google Android geflossen, wo die Funktionalität noch besteht. Wenn nun auch Android die Funktionalität beeinträchtigt, dann wird mehr Werbegeld vermehrt in die grossen Apps fliessen, mehr Werbegeld wird in Search fliessen – vor allem Search im Appstore. Apple hat sein verlorenes Geld in der Werbung über vermehrte Appstore-Search-Umsätze mehr als wieder gutgemacht. Fazit, Geld fliesst weg aus der Schweizer Werbewirtschaft zu den grossen internationalen Plattformen.
Wie absehbar ist das Ende der Werbecookies und was heisst dies für die Werbebranche?
Martin Radelfinger: Das Ende der Third Party Cookies ist absehbar und damit werden Publisher, Agenturen und Werbetreibende näher zusammenrücken. Die Bedeutung von First-Party-Daten wiederum wird zunehmen und Webekunden und Agenturen werden die höhere Komplexität dieses neuen Silo-Ökosystems durch neue (alte) Planungsansätze und Technologien adressieren müssen. Wenn wir etwas seit Beginn der digitalen Werbung gelernt haben, dann ist es vermutlich die Plattitüde, dass in diesem Wirtschaftssegment Veränderung die einzige Konstante ist. Wird es zukünftig schwieriger Inhalte und Dienstleistungen im Open Web mit konventioneller, digitaler Werbung zu finanzieren? Vermutlich. Es werden aber neue Möglichkeiten der User-Adressierung und neue Formen der kommerziellen Kommunikation entstehen.
Rene Plug: Es kommt Ende 2023, da gibt’s keinen Zweifel. Wir warten nur, bis die grossen internationalen Plattformen komplett bereit sind, um eine neue Werbewelt zu unterstützen. Diese wird sich auf Walled Gardens stützen, nicht auf ein durchlässiges, offenes Internet. Die Werbebranche wird komplexer werden: Werbetreibende und Agenturen werden nicht mehr über eine einzige Demand Side Plattform (DSP) Werbeplätze auf allen Plattformen einkaufen können. Man wird pro Inventarquelle (Google, Open Web, Facebook, usw.) einkaufen müssen, und damit diverser einkaufen. Das heisst mehrere Targeting-Strategien für jede Inventarquelle, mehrere Einkaufsplattformen, zusätzliche Technologie, um eine übergreifende Sicht zu haben, mehrere Messmethoden, usw. Es wird komplexer werden und neue Technologien werden kommen, um die höhere Komplexität zu reduzieren oder zu managen. Am Ende werden die gleichen Budgets ausgegeben werden, aber die Technologie spielt eine wichtigere Rolle, um das Ganze zu managen und es wird Verschiebungen in der Budgetverteilung geben.
Was kommt nach dem Ableben der Werbecookies? Wo führt die Zukunft der Werbebranche mit diesem User-Verhalten hin?
Martin Radelfinger: Ich würde gerne nochmals auf den bereits thematisierten Werteaustausch zwischen der Aufmerksamkeit des Konsumenten und der Werbewirtschaft zurückkommen. Eine gewisse Rückbesinnung auf kreative und relevante Werbung, immer unter der konsequenten Wahrung der schützenswerten Privatsphäre und einem respektvollen respektive haushälterischem Umgang mit der Aufmerksamkeit der Konsumenten halte ich für eine grosse Chance für die digitale Werbewirtschaft. Third Party Cookies werden verschwinden und Ersatztechnologien, welche der gleichen Problematik unterliegen und die Privatsphäre nicht konsequent schützen, haben keine Zukunft. Google hat hier eine glasklare Position eingenommen. Apple setzt Datenschutz als differenzierendes Merkmal für seine Marke ein.
Rene Plug: Jene, die mit wenig Daten die besten Resultate erreichen können, werden gewinnen. Der Dialog mit den Inventargebern ist gefragt, aber auch kreative Deals, die sich auf First-Party-Daten stützen und Datenschutzkonform sind. Erfolgreich sind jene, die native Werbung auf qualitäts-Seiten schalten und selektiver sind. Jene, die am Puls der Zeit sind, investieren in First-Party-Daten, die sich in der kontextuellen und nativen Welt zurechtfinden und die sich im offenen Web bewegen, werden in diesem Umfeld Chancen sehen.
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