Autor: Marc Schwenninger, Leiter Rechtsdienst KS/CS: zVg (publiziert in «Persönlich», Sonderausgabe Juni/Juli 2023)
Das grundlegende Verbot der Unrichtigkeit und Irreführung
Das schweizerische Bundesgesetz gegen den unlauteren Wettbewerb (UWG) verbietet jegliche unrichtige oder irreführende kommerzielle Kommunikation von Unternehmen. Verschärfend kommt hinzu, dass den werbenden Unternehmen die Beweislast auferlegt wird, die Richtigkeit ihrer Werbeaussagen nachweisen zu können. Verstösse gegen dieses Richtigkeitsgebot respektive Irreführungsverbot können auch strafrechtlich verfolgt werden. Das Gesetz sieht einen Strafrahmen von Geldstrafe oder Freiheitsstrafe bis zu drei Jahren vor. Auch in der EU sind das Richtigkeitsgebot und das Irreführungsverbot von zentraler Bedeutung. Umfassende EU-Regulierungen dazu finden sich in der Richtlinie 2005/29/EG des Europäischen Parlaments und des Rates vom 11. Mai 2005 über unlautere Geschäftspraktiken und der Richtlinie 2006/114/EG des Europäischen Parlaments und des Rates vom 12. Dezember 2006 über irreführende und vergleichende Werbung.
Werbung ist die am stärksten regulierte Kommunikationsform
Die Strenge dieser Vorgaben an die kommerzielle Kommunikation zeigt sich beispielsweise im Vergleich zur schweizerischen Gesetzgebung zur redaktionellen Kommunikation, welche wettbewerbsbeeinflussend ist. Bei der redaktionellen Kommunikation ist im Gegensatz zur kommerziellen Kommunikation nicht jede unrichtige oder irreführende Aussage über Unternehmen oder deren Produkte ein Gesetzesverstoss. Vielmehr muss die Unrichtigkeit oder Irreführung ein Mass erreichen, welches einer eigentlichen Herabsetzung gleichkommt. In der politischen und privaten Kommunikation ist Unrichtigkeit oder Irreführung sogar per se nicht unzulässig. Die Grenzen werden hier durch spezialgesetzliche Sondertatbestände wie zum Beispiel das strafrechtliche Verbot der Ehrverletzung gezogen. Im Zusammenhang mit Diskussionen rund um Fake News und Hate Speech scheinen sich aber auch hier Verschärfungen abzuzeichnen. In der EU wird im Rat und im Europäischen Parlament aktuell beispielsweise über eine Verordnung über die Transparenz und das Targeting politischer Werbung diskutiert. Politische Werbung soll zumindest transparent und klar erkennbar werden.
Spezialbestimmungen zum Thema Werbung
Die Werberegulierung in der Schweiz und in der EU zeichnet sich dadurch aus, dass sich der Gesetzgeber nicht mit allgemeinen Vorgaben zum Schutz der Konsumentinnen und Konsumenten sowie der Mitbewerber zufrieden gibt. Vielmehr sieht er sich genötigt, unzählige Detailbestimmungen verstreut über die ganze Gesetzgebung zu erlassen. In der Schweiz umfasst das auch sämtliche vertikale Stufen von Bund, Kantonen und Gemeinden. Im Buch „Werberecht“ von Schwenninger/Senn/Thalmann (2. A, Zürich 2010) finden sich rund 400 Seiten mit werberelevanten Bestimmungen und kurzen Erläuterungen dazu. Es ist davon auszugehen, dass dieser Umfang in den letzten Jahren nicht abgenommen, sondern vielmehr massiv zugenommen hat. Illustrativ ist beispielsweise der Artikel 3 des schweizerischen Bundesgesetzes gegen den unlauteren Wettbewerb zu den unlauteren Werbe- und Verkaufsmethoden. Alleine dieser einzelne Gesetzesartikel in diesem einzelnen Gesetz umfasst mehr als 20 verschieden Tatbestände von widerrechtlichem Verhalten im Zusammenhang mit kommerzieller Kommunikation und Marketing. Von noch grösserer Regelungsdichte ist beispielsweise das deutsche Gesetz gegen den unlauteren Wettbewerb.
Systematisch lassen sich Werbevorschriften unterteilen in:
- Vorschriften für einzelne Werbemassnahmen wie zum Beispiel vergleichende Werbung oder das Werben mit Werbegewinnspielen,
- Besondere Vorschriften für einzelne Werbemedien wie zum Beispiel Aussenwerbung, Radio und Fernsehen,
- Vorschriften für Massnahmen zur Verkaufsförderung wie zum Beispiel der Fernabsatz,
- Vorschriften für einzelne Waren und Dienstleistungen wie zum Beispiel Lebensmittel, Alkohol oder Finanzdienstleistungen,
- Vorschriften für einzelne Personenkategorien von Werbenden wie zum Beispiel Werberestriktionen für Ärzte oder Rechtsanwälte.
Schweizerische Werberegulierung kann auch über den EU Standard hinausgehen
Es ist nicht so, dass die schweizerische Gesetzgebung immer liberaler ist als die Gesetzgebung der EU. Illustrativ dazu sind die äusserst strengen Vorgaben für Alkoholika, welche dem Alkoholgesetz unterstehen. Hier macht der schweizerische Gesetzgeber zum Beispiel die radikale Einschränkung, dass Werbung für solche Produkte in Wort, Bild und Ton nur Angaben und Darstellungen enthalten darf, die sich unmittelbar auf das Produkt und seine Eigenschaften beziehen. Das Werben mit «Bacardi-Feeling» am Strand findet in der Schweiz im Gegensatz zu Deutschland somit nicht statt. Und auch die Marke «Jägermeister», die für ihr innovatives Marketing bekannt ist, hat mit Blick auf die Schweiz und die Schwierigkeit der hiesigen Marktbearbeitung festgestellt (persönlich, Interview vom 25.7.2013, „Wenn wir jetzt nicht Relevanz nachschütten, ebbt der Boom ab“): „Ich finde das immens – vor allem wenn man bedenkt, wie streng die Restriktionen in Punkto Werbung in der Schweiz sind. Die Vorschriften werden immer strenger. Alles, was Emotionen weckt, ist im Zusammenhang mit einer Spirituose nicht erlaubt.“
Schweizerische Werberegulierung im Einklang mit EU Standards
Wie in anderen Wirtschaftsbereich auch gibt es Bereiche, in welchen die schweizerische Werberechtsregulierung die EU Gesetzgebung adaptiert und weitestgehend übernimmt. Ein illustratives Beispiel dafür ist das Lebensmittelrecht. Das Werben für Lebensmittel ist juristisch hoch komplex geworden. Jegliche Werbeaussage zu Lebensmittel muss strengstens dahingehend geprüft werden, ob ihr eine Bedeutung im Sinne einer Heilanpreisung gegeben werden könnte, was nur für Heilmittel zulässig ist. Und selbst Aussagen mit Bezug zur Gesundheit sind verboten, sofern sie nicht gesetzlich vorgesehen oder im Einzelfall bewilligt worden sind. Dazu bestehen eigene Anhänge zu einer Verordnung des EDI betreffend die Information über Lebensmittel (LIV), welche die zulässigen nährwertbezogenen Angaben sowie die zulässigen gesundheitsbezogenen Angaben einschliesslich deren Voraussetzungen für ihre Verwendung definieren. So kommen auf mehreren Dutzend Seiten etwas über 30 zulässige Nährwertangaben (z.B. „fettarm“, „zuckerarm“, „hoher Proteingehalt“, „light“) und über 200 zulässige Gesundheitsangaben mit je detaillierten Vorgaben zusammen (z.B. „Coffein dient der kurzfristigen körperlichen Leistungsfähigkeit“, „Jod trägt zur normalen kognitiven Funktion bei“, „Vitamin A trägt zur Erhaltung normaler Sehkraft bei“). „Gemüse ist gesund“ findet sich nicht unter diesen zulässigen Gesundheitsangaben zu Lebensmitteln.
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